WEF 2017 – Das 47. WEF ist Geschichte. Mehrere Tausend Personen nahmen Teil – und nur eine Handvoll ging in Davos auf die Strasse, um dagegen zu protestieren. Das war nicht immer so. Ein ehemaliger Demonstrant erinnert sich an die Zeit, als sich die WEF-Gegner aus dem Unterland noch als Skifahrer tarnten, um bis nach Davos zu gelangen.
«Das erste Mal ging ich im Jahr 2001 nach Davos demonstrieren, das zweite Mal 2003», erinnert sich der Zürcher, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Er war damals Anfang 20. Beim dritten Anlauf im Jahr 2004 sei er nicht mehr bis nach Davos gekommen.
Zu dieser Zeit hätten sich jeweils rund 400 Personen zu Protestkundgebungen versammelt. Darunter waren Gewerkschafter, Vertreter des Oltener Bündnis oder Mitglieder der Grünen und der SP. Auch Bauern waren darunter und protestierten gegen den Freihandel.
Einzelne, kleinere Demonstrationen waren im Vorfeld bewilligt worden, andere nicht. Vor Ort sei die Polizei-Präsenz jeweils extrem gewesen. «Auf einen Demonstranten kamen drei Polizisten», erinnert sich der ehemalige Aktivist.
Als Skifahrer verkleidet
Die grösste Herausforderung sei jedoch gewesen, trotz der zahlreichen Polizeikontrollen überhaupt bis nach Davos zu gelangen und unterwegs nicht als Demonstrant aufzufliegen. Junge Städter, die als Gruppe unterwegs waren, waren auffällig. «Alles unter 30 war verdächtig.»
«Viele nahmen deshalb ein Snowboard oder ein Paar Ski mit und versuchten als Ski-Fahrer durchzukommen», erinnert sich der heute 34-Jährige. Andere schnallten sich Big Foots auf den Rucksack. Wieder andere versuchten, über ein Skigebiet zum nach Davos zu kommen.
Er und ein Freund machten sich im Jahr 2001 mit Schneeschuhen auf den Weg. Dennoch gerieten sie unterwegs in eine Polizeikontrolle. Sie wurden durchsucht und mussten sich bis auf die Unterhose ausziehen. Als die Polizisten ein Flugblatt von «Public Eye on Davos» fanden, war klar, dass die beiden jungen Männer nicht wegen des Schneeschuhlaufens in der Region waren.
Also wurden sie von der Polizei nach Tiefencastel gefahren, wo sie verhört wurden. Da war es bereits elf Uhr Nachts. Anschliessend habe sie die Polizei in einen Wald zwischen Filisur und Tiefencastel gefahren und dort ausgesetzt.
Von dort wanderten sie bis nach Wiesen, wo sie in eine neue Kontrolle gerieten. Schliesslich liess man sie laufen, und sie erreichten Davos rechtzeitig für die Kundgebung.
Kein Verständnis für Demos
Die Polizei habe damals – entgegen den offiziellen Verlautbarungen – null Verständnis für Demonstrationen gezeigt, erinnert sich der ehemalige Aktivist. Sie hätten den jungen Städtern gesagt, sie sollten am besten «wieder nach Hause gehen».
Über die Jahre wurden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. «Ab dem Jahr 2003 wurde der gesamte Bahnhof Fideris zu einer eigentlichen Schleuse umfunktioniert», erinnert sich der Zürcher weiter. Jeder, der mit dem Zug nach Davos wollte, sei kontrolliert worden.
Also hätten die WEF-Gegner im Jahr 2004 zu einer Demo in Chur aufgerufen. Doch auf dem Nachhauseweg ins Unterland sei der Zug mit mehreren Hundert Demonstranten in Landquart plötzlich angehalten worden. «Der Bahnhof war mit Polizisten und Wasserwerfern umstellt.»
Die Demonstranten wurden anschliessend während zwei bis vier Stunden in der Tiefgarage eines Warenhauses angehalten. «Wir waren wohl 600 Personen oder mehr», erinnert er sich.
Diese «Einkesselung von Landquart» war ein Wendepunkt in der Geschichte der Anti-WEF-Demonstrationen. Danach verlagerte sich der Protest auf einzelne Schweizer Städte. Doch die Anti-Globalisierungs-Bewegung verlor auch ausserhalb von Davos an Kraft.
Humanitäres Mäntelchen
«Wir hatten das Bild, dass sich in Davos die ganz Mächtigen treffen, die die Fäden ziehen», sagt der 34-Jährige rückblickend. Heute sehe er das anders. «Sie sind zwar mächtig – was aber nicht heisst, dass wir anderen einfach nur Marionetten sind.» Das Bild mit den Fäden und den Marionetten habe zu sehr Weltverschwörungscharakter.
Diese Optik habe der Anti-Globalisierungsbewegung geschadet, die Ende der 1990er-Jahre entstanden war, ist er überzeugt. Deshalb habe sie auch immer mehr Anhänger verloren.
Heute würde er sagen: In Davos treffen sich mächtige Leute. Und es sei nach wie vor wichtig, dass auch dort Kritik geäussert werde, wo die dunklen Seiten der Globalisierung nicht sichtbar seien. Also etwa im sicheren, friedlichen Davos.
Die Schweiz sei ein sicherer Hafen im humanitären Mäntelchen. Dem habe man damals Protest entgegenstellen wollen – und dieses Anliegen teile er heute noch.