In der Beiz oder beim Arzt

Die Swisscom will bis 2017 vollständig auf Internettelefonie umstellen. Damit geht in der Schweiz ein Stück Kommunikationsgeschichte zu Ende.

Den Beschluss der Swisscom, für die Telefonie künftig ganz auf die alte Analogtechnologie zu verzichten, stuft der Leiter des Telefonmuseums in Islikon TG als historischen Schritt ein. «Damit geht die Ära der klassischen Vermittlungstechnik zu Ende», sagte Roger Pfister gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Diese Technik hat ihren Anfang im 19. Jahrhundert. «Die erste grosse Veränderung kam für die Gesellschaft mit der Erfindung der Telegrafie», erklärt Pfister weiter. Die Telegrafie wurde in den 1830er-Jahren erfunden, kam 1852 in die Schweiz und wurde rasch zu einem weltumspannenden Netz. Damit konnte plötzlich innert kürzester Zeit Nachrichten ausgetauscht werden. Das Telefon war ein weiterer wichtiger Schritt zu unserer heutigen Kommunikationsgesellschaft. Nun konnten Abonnenten direkt miteinander kommunizieren.

Zuerst Zürich, dann Basel

Zürich war die erste Schweizer Stadt mit einem Telefonnetz. Dieses wurde 1880 durch die private «Zürcher Telephongesellschaft» erstellt, wie Roger Pfister, Leiter des Telefonmuseums in Islikon TG, erklärt. Das Netz war ein reines Ortsnetz mit 141 Anschlüssen. Laut dem Historischen Lexikon der Schweiz übernahm ab 1881 der Bund den Bau und Betrieb weiterer Telefonnetze, zuerst in Basel und Bern, dann in Genf. Bis 1891 entstanden demnach rund 100 Ortsnetze, die zu einem nationalen Netz zusammenwuchsen. Anschliessend verbreitete sich das Telefon in der gesamten Schweiz. Die Vermittlung von Ferngesprächen erfolgte lange Zeit manuell durch eine Telefonistin, im Volksmund «Fräulein von Amt» genannt. Für diese Arbeit wurden in der Schweiz von Anfang an ausschliesslich ledige Frauen angestellt.

1923 begann schrittweise die Automatisierung der Zentralen. So konnte der Anrufer die Nummer des Gesprächpartners selbst wählen. Die Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe (PTT) teilten hierzu die Schweiz in 52 Netzgruppen ein. 1959 stellte nach Angaben des Historischen Lexikons die letzte manuell vermittelte Telefonzentrale auf ein automatisches System um. Die Schweiz war damit das erste Land mit einem vollständig automatisierten Telefonnetz.

Foto: Eckhard Hoehmann / unsplash.com

In der Beiz oder beim Arzt

Anfänglich wurde das Telefon hauptsächlich für den Geschäftsverkehr benutzt, nicht zuletzt auch aus Kostengründen. Wer telefonieren wollte, aber noch über keinen eigenen Anschluss verfügte, musste dies an einem öffentlichen Anschluss tun, oder gegen ein Entgelt bei Privatpersonen, die ein Telefon besassen. Oft liessen private Telefonbesitzer andere Personen gegen eine Gebühr den Apparat benutzen, wie der Leiter des Telefonmuseums erklärt. So entstanden eine Art private Telefonbüros. «Das war für gewisse Familien ein Grund, kein Telefon anzuschaffen», sagte Pfister.
«Das Telefon war etwas nicht Alltägliches», sagt auch Juri Jaquemet, der im Berner Kommunikationsmuseum für die Sammlung Informationstechnologie verantwortlich ist. In den Dörfern und kleinen Städten habe es oft nur beim Arzt, beim Richter oder in der Dorfbeiz ein Telefon gegeben. «Ein Anruf war etwas Aussergewöhnliches, das Aufsehen erregte.»

Nach Ende des zweiten Weltkrieges gelangte das Telefon schliesslich in immer mehr Privathaushalte. Waren 1920 in der Schweiz 3,3 Apparate auf 100 Einwohner gekommen, waren es 1980 über 70, wie es im Historischen Lexikon der Schweiz hiesst. In den 1980er Jahren kam mit der Einführung von ISDN die Digitalisierung der Telekommunikation – und der Beginn einer neuen Ära. Parallel dazu gewann das 1978 in der Schweiz lancierte Mobiltelefon immer mehr an Bedeutung. 2002 übertraf die Anzahl der Mobil- erstmals diejenige der Festnetzanschlüsse.

Wert der Erfindung nicht sofort erkannt

An der Entwicklung des Telefons waren mehrere Personen beteiligt. 1853 entwarf der französische Telegrafenbeamte Charles Bourseul in einem Aufsatz die Idee, die menschliche Sprache auf elektronischem Weg zu übertragen. Er setzte die Idee jedoch nicht in die Praxis um. 1861 gelang dem deutschen Physiker Johann Philipp Reis die praktische Entwicklung des ersten funktionierenden Telefonapparates. Der Wert seiner Erfindung wurde jedoch nicht erkannt, wie der Leiter des Telefonmuseums in Islikon erklärt. Auch als 1876 der US-Amerikaner Alexander Graham Bell ein Telefon bis zur Marktreife entwickelte und es patentieren liess, wurde die Bedeutung der Erfindung zunächst noch nicht erkannt. Er ging fast pleite. 1878 sei das Telefon Dank der Erfindung des günstigen Kohlemikrofons schliesslich marktfähig geworden, so Pfister.

Dieser Text wurde am 18.03.2014 durch die SDA publiziert und danach unter anderem auf dem Onlineportal «Werbewoche» aufgeschaltet.